Triathlon mit Lipödem: Mein 2. Triathlon als Flachstrick-Heldin

Seit 2020 habe ich mich nach und nach von der Couchpotato zufällig zur Triathlein entwickelt. Ob ich das selbst jemals gedacht hätte? Nope – niemals. Mittlerweile ist Sport aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken und daher war es am 14.7.2024 wieder soweit: Ich bin zu meinem 2. Triathlon mit Lipödem an den Start gegangen. Dieser Tag war sehr besonders und vorallem emotional. In diesem Blogpost möchte ich daher gerne an meinen Herausforderungen, aber auch Erfolgen teilhaben lassen. Es ist ein Mix aus Racebericht und allgemeinen Themen die mich in diesem Feld des Triathlons beschäftigen. Mittlerweile ist es nicht einfach nur ein Sport den ich mache, sondern sehr viel mehr.

Bereit für ein bisschen Action? Let’s go!

Disziplin Nr. 1: Schwimmen

Der Triathlon hat immer eine feste Abfolge: Schwimmen, Radfahren, Laufen. Genau aus diesem Grund gehe ich bereits mit meiner Flachstrick-Kompression an den Schwimmstart. Nicht, weil ich sie zum Schwimmen bräuchte, sondern sie in der Wechselzone im Nachgang anzuziehen würde zum einen zu viel Zeit kosten und wäre zum anderen auf nasser Haut sehr mühsam. Ohne Flachstrick Rad zu fahren oder zu laufen ist für mich keine Option.

Hinweis: Wenn Neopren-Verbot ist, darf der Unterschenkel nicht bedeckt sein, deshalb habe ich im Vorfeld den Veranstalter kontaktiert und das erneut aus medizinischer Sicht begründet und ohne Probleme genehmigt bekommen.

Eine Herausforderung dabei ist aber, um ganz ehrlich zu sein, dass der Wasserdruck in Kombination mit der Flachstrick einen enormen Druck auf den Bauch erzeugt. Falls du also auch vorhast mit Kompression ins Wasser zu steigen, solltest du das unbedingt im Vorfeld einmal üben. So überrascht dich das nicht und du kannst dich drauf einstellen.

Nach dem Schwimmen erst Mal Kompri richten und weiter ging’s.

Mein einziges Ziel in meinem 2. Wettkampf war, dass ich die gesamte Strecke Kraulschwimmen wollte. Das habe ich mir bereits im letzten Jahr zum Ziel gesetzt, obwohl ich da noch gar nicht kraulen konnte. Vor ein paar Wochen habe ich dann damit angefangen, nehme mittlerweile auch private Schwimmstunden und habe es letztendlich geschafft die Strecke komplett zu kraulen. Nur an den zwei Bojen bin ich der Übersichts halber bzw. bei der zweiten Boje aus Platzmangel kurz Brust geschwommen. Ergebnis: fast 2 Minuten schneller als 2023. Meine 2:30er Pace war auf jedenfall sogar besser als erwartet. Schauen wir mal wie es weitergeht mit dem Schwimmen, aber ich bin sehr gewillt es weiter zu optimieren, denn hier kann ich noch einiges an Zeit rausholen.

Tolle Moderation des Veranstalters

Schon gewusst? Kompression beim Schwimmen ist im Normalfall nicht notwendig da der hydrostatische Druck komprimiert. Schwimmen hat sogar oft den Effekt wie eine Lymphdrainage, daher kann ich es für alle Lipies/Lymphies nur wärmstes empfehlen! Außerdem ist es gelenkschonend, erfrischend und mir macht es mit am meisten Spaß von allen Sportarten die ich so treibe.

Disziplin Nr. 2: Rad fahren

Wegen Gegenwind gab es dieses Mal „nur“ einen 27km/h Schnitt, aber ansonsten lief es super und die Strecke war zu dem Zeitpunkt auch relativ gut verteilt, sodass ich kaum überholt wurde oder überholen musste. Macht es super entspannt finde ich. Einmal gab es an einem Kreisel einen Engpass, was mich auf der Geraden dann zur 2. Überholerin von links gemacht hat, aber auch das ging gut. Nur mein neuer Trinkflaschenhalter ist einfach so eng, sodass die Flasche schlecht rein und raus ging. Das hat mich etwas aufgehalten.

In Kompression aufgesattelt

Ich werde oft gefragt, ob mich die Kompression auf dem Rad nicht einschränkt und welche Tipps ich hier habe. Da ich mit dem aktiven Radfahren erst anfing, nachdem ich bereits Jahre die Flachstrick getragen habe, hatte ich keinen bewussten Vergleich zu dem wie es ohne ist. Daher habe ich mich damit errangiert und es „einfach“ gemacht. In vielen Dingen habe ich mich die letzten Jahre Stück für Stück vorgetastet. Langsam anfangen, im eigenen Tempo steigern und dann ausbauen.

Tipps: Mir hilft, dass mein Bauchteil von der Länge bis fast unter die Brust geht, somit ist alles gut verpackt. Desweiteren fahre ich immer nur mit gepolsterter Fahrradhose bzw. Triathlon-Anzug, dadurch habe ich vollen Komfort.

Und denke immer dran: Wir sind alle so verschieden! Für manche kann das sportliche Ziel ein Marathon sein, für andere zum Briefkasten zu spazieren. Mach deine Weg nicht im Vergleich zu anderen aus, sondern was für dich ein Erfolg ist. Ich habe dieses Mal auch nicht die beste Zeit performed, aber ich bin ins Ziel gekommen. Ende der Geschichte und das ist mein persönlicher Erfolg gewesen.

Disziplin Nr. 3: Laufen

Durch meine Flachstrick-Kompression ist und bleibt es vermutlich für immer meine Achillesferse. Trotz Training sind meine Beine dann doch immer relativ vorbelastet und ich tue mir bei den Temperaturen echt schwer. Aber ich habe zu Beginn nicht über-paced, hatte sogar rückblickend keine Wabbel-Waden beim Wechsel und konnte meinen Rythmus schnell finden. Mit 7:29 Min./km gewinnt man halt eher einen Blumentopf, aber am Ende zählt es, dass man ins Ziel kommt und das habe ich immerhin schneller getan als im letzen Jahr! Beim Laufen habe ich immernoch den größten Faktor zum wachsen, bzw. Zeit einsparen und ich freue mich darauf zu sehen wohin mein weiteres Training mich noch bringen wird. Es geht mir nicht darum besonders professionelle Zeiten zu erreichen, sondern darum, zu sehen was mein Körper noch rausholen kann. Und wenn es am Ende nur 7:00 Min./km sind die ich maximal im Stande bin, dann bin ich damit auch fein.

Absolutes Highlight: Der Läufer vor mir kurz vorm Ziel ist dann rückwärts gejoggt, hat mir so die Hände von unten zugewunken nach dem Motto „auf gehts, gib nochmal alles“ und auch die Leute um mich herum haben gesehen wie schwer mir die letzten Meter fielen und mich angefeuert. Somit konnte ich nochmal alles mobilisieren was ging und bin ins Ziel gesprintet.

Bester Moment: Nach dem Sprint freudejubelnd ins Ziel einlaufen

Persönliches Worst-Case-Szenario: Ich bin wie immer ganz offen und daher teile ich auch ein Erlebnis, dass mich vermutlich beinahe den Finish gekostet hätte. Bei ca. Lauf-Kilometer 2,2 habe ich gerade eine andere Teilnehmerin überholt, als ein paar Meter später ein E-Bike-Fahrer (!!!) an uns vorbeikam mit sinngemäß den Worten, dass wir ja zu dick und deswegen so angestrengt und langsam seien. Erst mal war ich so perplex, dass ich gar nicht wusste was ich sagen sollte und habe mich dann für „wenigstens nehmen wir hier teil“ entschieden. Diese Situation teile ich nicht mit dir, weil ich dafür Mitleid will, sondern ich erzähle es, weil es ein Beispiel dafür ist, wie Menschen andere wegen optischen Dingen verurteilen ohne ihre Geschichte zu kennen. Das hat mich dermaßen rausgebracht, dass ich meine Steigerung der Schnelligkeit komplett vergessen habe. Ich war auch nach dem Wettkampf noch lange enttäuscht und auch sauer darüber was er da getan hat, aber ich habe es nun verdaut und werde mich (falls es ein nächstes Mal gibt) nicht mehr von sowas irritieren lassen. Ich weiß wo ich hergekommen bin und heiße nicht umsonst auch „rund & sportlich“. Reminder: Sportlichkeit sieht man Menschen nicht immer an!

Persönliche Highlights

Die Stimmung vor Ort war so wunderschön. Aufregung, Emotionen, Freude und so vieles mehr. Es gab von allem etwas und dennoch war es ein tolles Gefühl. Besonders als ich in der Schlange zum Schwimmstart stand dachte ich „Endlich geht es los“.

Besonders glücklich hat mich die Tatsache gemacht, dass die 3 Rookies (Neulinge) (ein Arbeitskollege, meine Lymphterapeutin und eine Sport-Enthusiastin die ich bisher nur von Insta kannte) die mit mir an den Start gingen auch alle erfolgreich ins Ziel kamen und es sogar richtig toll fanden. Es hat mir richtig Freude bereitet mein Wissen an die 3 weiterzugeben. Übrigens: Ich kann es nur empfehlen, wenn du auch Lust hast es einmal auszuprobieren. Für das kommende Jahr möchte ich ein Triathlon-Rookie-Projekt auf die Beine stellen, hierzu folgen noch weitere Infos.

Danke besonders an alle die mich vor Ort tatkräftig unterstützt haben.

Die liebe Britta hat es schön gesagt: Man muss nicht auf dem Treppchen stehen, um eine Gewinnerin zu sein. Das ist genau das was ich auch fühle und für mich ist jeder Zieleinlauf wie ein erster Platz. Denn ich mache vermutlich in fast jedem Wettkampf der auch in Zukunft noch ansteht als einzige in Flachstrick mit und somit bin ich doch automatisch immer die Erste. Es geht nicht darum, ob ich mit den anderen mithalten kann oder wer besser oder schlechter ist, sondern darum, dass ich das alles für mich selbst tue. Mein Weg, mein Tempo.

Mir wird oft gesagt, dass ich so stolz auf mich sein kann. Weißt du wie ich darüber denke? Ich bin wirklich nur dankbar, dass ich Triathlon trotz des Lipödems machen kann und mit Stolz hat das bei weitem nichts zu tun. Klingt für viele vielleicht verrückt, aber so ist es für mich.

Warum ein Triathlon mit Lipödem?

Also generell bin ich da so reingerutscht… Mein Nachbar ist mehrfacher (Hawaii) Ironman und hat mich irgendwie dazu etwas angestiftet. Zudem hat eine liebe Freundin die Überredungskunst aufgebracht, dass ich mich Ende 2022 für meinen ersten Wettkampf angemeldet habe. Nachdem ich diesen am 9.7.23 erfolgreich absolviert habe, dachte ich eigentlich, dass es es damit nun sei. Dann kam der Veranstalter auf die Idee mein Finisher-Foto auf den Flyer für dieses Jahr auf den Titel zu setzen mit den Worten „Das ist Vanessa Reins und ihre Geschichte hat mich ganz besonders bewegt. Daher bekommt sie dieses Mal die volle Aufmerksamkeit und ist alleine auf dem Titelbild“. Ja gut, das kann man ja nicht einfach ignorieren und so kam es zu meiner zweiten Anmeldung. Und seit ich meine Trainerin habe, habe ich Lust zu sehen was eben noch so „geht“.

Triathlon ist mehr als nur Sport.

Nun möchte ich aber endlich auf mein Statement eingehen wovon ich anfangs gesprochen habe. Ja es ist wirklich wahr. Es ist eine ständige Herausforderung an einen selbst und auch an den Schweinehund. Ausdauer-Sportarten verzeihen keine großen Pausen. Der Schweinehund muss auf Dauer zum Schweinefreund verwandelt werden, ansonsten wird es wirklich haarig. Nicht selten habe ich keine Kraft oder Lust zum Training, da bin ich absolut ehrlich. Gerade Laufsessions mit Intervallen bis zu meiner persönlichen Puls-Grenze sind mein Endgegner. Aber alles in allem ist und bleibt der Sport ein Ausgleich für meinen stressigen Alltag. Mein Körper dankt es mir, denn mein Herzkreislaufsystem wird brav weiter auf Vordermann gebracht.

Die größte Herausforderung ist beim Triathlon zu den allergrößten Anteilen das eigene Mindset. Das erlebe ich in sehr vielen meiner Einheiten immer wieder aufs neue. Ständig tritt man aus seiner Komfortzone heraus, ergründet neue Ufer (im wahrsten Sinne des Wortes) und wächst über sich hinaus. Von den Fragen warum man das ganze überhaupt macht bishin zu den größten Glücksgefühlen ist immer alles dabei. Gerade beim Laufen habe ich meine größten Herausforderungen, aber ich werde nicht aufgeben besser und schneller zu werden.

Mein Prozess der letzten Jahre war nur möglich, weil ich ständig aus meiner Komfortzone herausgetreten bin.

In der Vorbereitung zu diesem Wettkampf hatte ich einen meiner größten mentalen Tiefpunkte meiner „Sport-Karriere“: Das erste Kraul-Freiwasser-Training bei 13 Grad Außentemperatur und Regen-Schiet-Wetter. Das Reel dazu findest du hier – und kleiner Spoiler vorab: Diese Einheit hat mich mental absolut nach vorne gebracht, denn ich habe mich an diesem Tag folgenden Ängste alle auf einmal gestellt:

  • Das erste Mal im Neoprenanzug
  • Das erste Mal Kraulen im Freiwasser
  • Das erste Mal Schwimmen in Flachstrick, Neoprenanzug und Tri-Suit
  • …und noch weiteres

Es trotzdem tun, obwohl eigentlich alles einfach nur NEIN geschrien hat, das sind die Momente die einen wirklich wachsen und nach vorne kommen lassen. Hart ist es trotzdem jedes Mal, aber es lohnt sich. Versprochen.

Falls du noch mehr zum Thema #triathlonmitlipödem lesen willst, kannst du gerne hier nachlesen.

Zukunftsgeflüster: mein 3. Triathlon mit Lipödem

Nach meinem 2. Finish habe ich mich spontan direkt für den 1.9.24 zum nächsten Wettkampf angemeldet. Es wird erneut eine Sprint-Distanz und ich kanns jetzt schon kaum abwarten.

Für 2025 habe ich mir vorgenommen eine Olympische Distanz anzugehen. Sprich: 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen. Bis dahin werde ich mein Training weiter ausbauen und vorallem erhöhen. Bei meiner Trainerin fühle ich mich auf jedenfall gut aufgehoben und vertraue ihr. Sie weiß um mein Lipödem, ist selbst Betroffene und zusammen bekommen wir es bisher richtig gut hin. Es ist für sie bestimmt auch nicht immer leicht den Spagat zwischen intensiv genug aber nicht überfordernd zu finden. Fakt ist nämlich, dass ich durch meine Krankheit oftmals etwas eingeschränkt bin, was aber nicht bedeutet, dass ich das ganze weiterhin in meinem Tempo rocken kann!

Ich weiß noch nicht, was die Zukunft noch alles mit sich bringen wird. Vielleicht werde ich irgendwann mal einen (70.3) Ironman bestreiten, vielleicht auch nicht. Aber egal wie, ich werde weiter alles geben, außer auf!

Triathlon mit Lipödem - Vanessa Reins von RundundSportlich
Der Zieleinlauf! Man beachte meine beste Freundin links im Hintergrund <3

Fotos/Videos: Sportfotografie Kutsche und privat

vanessa reins rundundsportlich lipödem

Author: Vanessa Reins

Servus zusammen! Mein Name ist Vanessa Reins: Lipödemkämpferin, Otterliebhaberin und Perfektionistin. Seit meiner Diagnose 2014 bin ich selbst auf dem Weg zu einem neuen Ich, dass ich mit Sport und einer ordentlichen Portion Selbstliebe weiter forme. Mir ist es eine Herzensangelegenheit euch meine Erfahrungen, Tipps oder Ratschläge für euren Weg mitzugeben und euch dazu zu motivieren, euch mit in das Team #antischweinehund zu holen. Auf meinem Instagramprofil @rundundsportlich könnt ihr euch eure Motivationsration abholen. Ich freu mich auf euch!

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  • Danke, liebe Vanessa, für deinen Bericht! Ich bin selbst Lipödem-Patientin und ich kann so vieles mitempfinden, von dem du hier erzählst. Ich beweise mir selbst immer wieder, dass man auch mit Lipödem (im Sport) ganz viel erreichen kann – auch wenn’s mit Kompression viel mühsamer ist. Ich geh gern wandern und freu mich immer riesig, wenn ich ein Gipfelkreuz erreiche. Ich laufe den Viertelmarathon mit – in Kompression und in meinem Tempo.
    Leider kenne ich, ebenso wie du, diese abwertenden Komentare („mit der Figur laufen“ oder Ähnliches).

    Ich finde dein Trikot übrigens spitze … toll, dich ganz offiziell als Lipödem-Kämpferin zu outen!!

    Danke für deinen tollen, sehr inspirierenden Bericht! Ich wünsche dir weiterhin ganz viele sportliche Erfolge!

    Bettina

    • Liebe Bettina,

      Danke für deine Worte. Es freut mich, dass du da eine ähnliche Einstellung bzw. den gleichen Weg eingeschlagen hast. Für sich und seine Gesundheit einzustehen ist mit das wichtigste, egal was andere denken.

      Mach unbedingt weiter so!

      Liebe Grüße,
      Vanessa